Wie Verwaltung und Politik den Wirtschaftshafen sturmreif geschossen haben
Der Wirtschaftshafen war in den letzten Jahren immer wieder Gegenstand politischer Diskussionen. Auffällig dabei war, dass er von Verwaltung und Teilen der Kommunalpolitik durch Worte oder Taten geschwächt wurde. Zu keiner Zeit gab es eine Stärkung des Wirtschaftshafens. Und was jahrelang angezweifelt, klein geredet und in Frage gestellt wird, ist nun mal ein leichtes Opfer. Insofern liegt der Schluss nahe, dass die Verlegung des Wirtschaftshafens nicht erst kurzfristig durch diese beiden Ereignisse ins Auge gefasst wurde:
- In Aussicht gestellte mögliche Fördermittel für das Gebiet Hafen-Ost
- Kohleaussteig der Stadtwerke und damit Freiwerden des Stadtwerkekais
Nein, Verwaltung und Kommunalpolitik haben die attraktiven Flächen am Ostufer des Hafens schon lange für eine andere Nutzung ins Auge gefasst. Darauf deuten die Handlungen und Äußerungen der Vergangenheit zweifelsfrei hin. Hinweise gibt es schon sehr lange, wie dieser lesenswerte Artikel aus dem Hamburger Abendblatt aus dem Jahr 1999 zeigt.
Wer war der Motor dieser Entwicklung?
Eine zentrale Rolle spielt der Leiter des Fachbereichs Entwicklung und Innovation der Flensburger Stadtverwaltung, Dr. Peter Schroeders. Er verfolgte in der ihm eigenen Art seit vielen Jahren das Ziel, auf dem Gelände des Wirtschaftshafens am Harniskai eine Art „Miniaturausgabe“ der Hamburger Hafencity zu errichten. Mit etlichen Veranstaltungen in höchst unterschiedlicher Besetzung konnte er bis dato nur sehr geringe Fortschritte erzielen, denn damals hielt die Politik zum Teil einheitlich im Schulterschluss noch dagegen. Der Durchbruch scheint ihm jedoch 2015 gelungen zu sein: Denn da konnte er die Politik dazu bewegen, dem Sanierungsträger der Stadt Flensburg den Auftrag zu einer Voruntersuchung zu erteilen.
Wie startete der Prozess?
Dieses erfolgte mit dem Antrag RV-23/2015 am 26.03.2015:
Einleitung vorbereitender Untersuchungen und Beteiligung der Betroffenen und öffentlicher Aufgabenträger zur Prüfung des Erfordernisses einer förmlichen Festlegung für Teile des Stadtumbaugebietes „Hafen-Ost“ als Sanierungsgebiet.
(Zum Vergrößern bitte auf das Bild klicken)
Und dem Beschluss:
„Zur Sicherung einer für die Gesamtstadt sinnvollen Entwicklung sollten für das in der Anlage bezeichnete Gebiet „Hafen-Ost“ vorbereitende Untersuchungen nach § 141 BauGB (VU) vorgenommen werden. Dabei ist ein offenes, transparentes und prozessorientiertes Verfahren durchzuführen, das sicherstellt, dass allen Interessierten eine konstruktive Beteiligung ermöglicht wird. Die für den Bereich Silokomplex begonnene „Gläserne Akte“ ist für den Bereich der Voruntersuchung (VU) fortzuführen. Mit der Durchführung der VU wird der städtische Sanierungsträger beauftragt.“
Quelle: Ratsinformationssystem der Stadt Flensburg
Das Vergraulen von Mitsubishi Hitec Paper
2016: Die Leiko (ständige Konferenz der leitenden MitarbeiterInnen des Verwaltungsvorstandes der Stadt Flensburg) veranlasst den traditionsreichen Flensburger Industriebetrieb Mitsubishi HiTec Paper, den benötigten Zelluloseimport nicht mehr auf dem Seeweg über den Flensburger Wirtschaftshafen durchzuführen. Die rund 35.000 t, die jährlich aus Norwegen importiert wurden, kommen jetzt aus Südamerika, werden in Glückstadt gelöscht und mit LKWs nach Flensburg transportiert.
Im Rahmen einer Marktanalyse, die uns freundlicherweise von „CPL Competence in Ports and Logistics GmbH in ´Potenzialanalyse für den Osthafen Flensburg´ im Auftrag der Industrie- und Handelskammer Flensburg, April 2018“ zur Verfügung gestellt wurde, möchten wir Ihnen eine Art Stellungnahme von Mitsubishi Paper Mills als Hintergrundinformation geben:
- Die GmbH Mitsubishi HiTec Paper Europe produziert beschichtetes Spezialpapier an zwei Standorten in Europa: Bielefeld und Flensburg; dort sind mehr als 700 Mitarbeiter beschäftigt.
- Die jährliche Produktionsmenge beträgt 185.000 t Papier, womit ein Umsatz von fast 300 Mio.€ erwirtschaftet wird.
- Für die Papierherstellung wird größtenteils Zellulose verwendet; der Rohstoff wird zu 75 % aus Südamerika und zu 25 % aus Skandinavien importiert; der Transport erfolgt in verdrahteten Bigbags á 250 kg per Schiff über den Hafen Glückstadt und wird dann per LKW nach Flensburg geliefert.
- Im Werk in Flensburg werden monatlich 3.000 Tonnen Zellulose verarbeitet.
- In der Vergangenheit hat Mitsubishi auch am Flensburger Hafen Zellulose gelöscht; das Unternehmen hat sich aber wegen verschiedener Rahmenbedingungen gegen diesen Hafenstandort entschieden; im Vergleich zu Glückstadt kann in Flensburg nur kleinere Tonnage (Flensburg: max. 3.000 bis 6.000 t/Schiff, Glückstadt: bis zu 12.000 t/Schiff) abgefertigt werden; Grund hierfür ist die (angeblich*) geringere Wassertiefe in der Förde, wodurch sich Kostennachteile ergeben; außerdem wird die Stagnation im Entscheidungsprozess in Bezug auf den Fortbestand des Hafens als Grund für die Verlagerung des Empfangs nach Glückstadt genannt.
- Das Unternehmen betont, dass man dem Umschlag über den Flensburger Hafen aufgeschlossen gegenübersteht, sofern die Maßnahmen hin zu einer positiven Hafenentwicklung umgesetzt werden.
- Das jährliche Potenzial für Zelluloseumschlag über den Hafen Flensburg beträgt somit 36.000 t.
*) durch die Erstellung eines aktuellen Peilplans wurde in der Zwischenzeit die Eignung des Hafens Flensburg auch für Schiffe bis 12.000 t sichergestellt
Ob noch weitere Schiffstransporte nach Flensburg durch die Leiko (ständige Konferenz der leitenden MitarbeiterInnen des Verwaltungsvorstandes der Stadt Flensburg) unterbunden wurden, ist zwar denkbar, aber uns nicht bekannt.
Und so ging es dann weiter
Oktober 2016 – März 2017: drei Workshops zur Ideenfindung mit Bevölkerung, Experten und Fraktionsmitgliedern. Von allen wurde ein Verbleiben des Wirtschaftshafens am Harniskai (Ostufer) gewünscht.
Mai 2017: Die Baunutzungsordnung für Schleswig-Holstein wird ergänzt. In § 6a werden die Bedingungen für urbanes (städtisches) Wohnens neu definiert. Mit den neuen Bedingungen wird das Fortbestehen des Wirtschaftshafens am Harniskai nun ausgeschlossen.
Juni 2017: Der Sanierungsträger präsentiert die Ergebnisse der Workshops, TÜV Gutachten zur Lärm-, Schmutz- und Staubemission bei einer öffentlichen Veranstaltung. Diese lassen den Schluss zu, dass ein Nebeneinander von Hafenwirtschaft und Wohnen möglich scheint. Kein Hinweis durch den vortragenden Fachbereichsleiter der Stadt Flensburg auf die neue Definition „urbanes Gebiet, das ein Nebeneinander von Hafenwirtschaft und Wohnen neuerdings ausschließen soll“.
Im Ausschuss für Umwelt, Planung und Stadtentwicklung (SUPA) präsentiert ein möglicher Investor im nichtöffentlichen Teil der Sitzung seine Pläne für einen der denkmalgeschützten Speicher.
Oktober 2017: In der öffentlichen Veranstaltung zaubert die Verwaltung mehrere interessierte Investoren mit Vorschlägen zur Sanierung der denkmalgeschützten Speicher aus dem Hut. Ein öffentliches Vergabeverfahren findet nicht statt.
Oktober 2017: Oberbürgermeisterin Simone Lange besucht den Hafen in Apenrade und zeigt sich beeindruckt: „Der Hafen in Apenrade stellt aufgrund seiner Größe und seiner technischen Ausstattung schon etwas Besonderes dar. Wir müssen uns vor diesem Hintergrund auch mit der Frage beschäftigen, welche Rolle unser Flensburger Hafen zukünftig in der Region haben soll.“
November 2017: Termin mit Vertretern des Innenministerium (Frau Kling und Frau Weber) mit Oberbürgermeisterin Lange und Sanierungsträger vor Ort, Thema: Förderantrag Städtebau West 2019. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war allen o. g. Beteiligten klar, dass diese Förderung bei einem Verbleib des Hafenbetriebes am Ostufer nicht möglich sein wird. Diese Information wurde NICHT veröffentlicht und das ist ein Skandal!
Die 5-Jahres-Garantie
Dezember 2017: Eine Ratsmehrheit aus CDU, SPD, FDP und Grünen verabschiedet im Rahmen der BV RV-160-2017 1. Ergänzung eine Nutzungsänderung am Ostufer und eine Verkleinerung des Kernbereichs der Fläche des Wirtschaftshafens. Für diese Restfläche wurde eine Bestandsgarantie von 5 Jahren festgesetzt.
Mal im Ernst: Welcher Unternehmer investiert denn in einen Standort, für den es nur eine so kurze Bestandsgarantie gibt? Keiner! Investitionen in den Wirtschaftshafen waren einfach nicht mehr erwünscht!
Lesen die dazu auch: Der Handelshafen in Flensburg – wie die Flensburger Politik eine Tradition gefährdet (Flensburg Journal, 09.12.2017, evtl. etwas runterscrollen zum Beginn des Artikels)
Juni 2018: Die Stadt, vertreten durch ihren Kämmerer Henning Brüggemann, verhandelt mit einer hiesigen Investorengruppe aus der Bauindustrie über die Verpachtung der Europawiese am Hafen-Ostufer. Die Preisvorstellungen der Stadt sind zunächst weit über dem, was in anderen Hafenstädten verlangt wird. Es kommt dennoch zu einer Einigung mit einer Befristung auf die Bestandsgarantie von 5 Jahren, wobei die Investoren betonen, dass Sie sich eine erheblich längere Laufzeit gewünscht hätten. Man sieht an diesem Beispiel, dass es Investoren aus der Region gibt, die an die Zukunft des Wirtschaftshafens am Ostufer glauben.
Zielgerade: Die Förderkulisse
22.11.2018: Zusage der Fördermöglichkeit durch das Innenministerium unter der Voraussetzung, dass der Wirtschaftshafen auf das Westufer verlagert wird. Auch diesmal wurde das Ergebnis weder mit der Politik noch mit der Öffentlichkeit kommuniziert.
16.01.2019: Öffentliche Präsentation des Ergebnisses der Voruntersuchung mit gleichzeitigen Vorstellung des geplanten Sanierungskonzeptes.
Der Öffentlichkeit wurde hier zum ersten Mal die Hafenverlegung als alternativlos dargestellt. Bis dahin wurde darüber nur im Rat kontrovers diskutiert.
- Der Sanierungsträger mit ausschließlich hauptamtlichen Mitarbeitern sollte die Voruntersuchungen innerhalb von 2 Jahren durchführen, benötigte aber 4 Jahre!
- Den ausschließlich ehrenamtlich tätigen Ratsmitgliedern wurde dagegen nur ein Zeitraum von nicht einmal 5 Wochen zum Studium und zur Bewertung eingeräumt. Diese Akte umfasst immerhin ca. 1.000 Seiten.
21.02.2019: Die Flensburger Ratsversammlung beschließt, auf Anraten des Chefplaners der Stadtverwaltung, Dr. Schroeders, im Zuge der Beschlussfassung über das Sanierungsgebiet Hafen-Ost und die damit verbundene Verlegung des Wirtschaftshafens ans Westufer.